Der Schreiber

Die hebräische Bezeichnung für einen Schreiber ist „Sofer STaM“

Foto: Ein Sofer STaM aus Jerusalem Foto: © Anette Martini

Sofer STaM

Die hebräische Bezeichnung für einen Schreiber ist „Sofer STaM“ und verrät seine wichtigsten Aufgaben. Das erste Wort, „Sofer“, bedeutet einfach „Schreiber“. Das zweite Wort, „STaM“, ist ein Akronym und setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe „Sefer Tora“, „Tefillin“ und „Mezuzah“ zusammen.

Sefer Tora

Als „Sefer Tora“ wird bereits in der Antike die Gesetzesrolle bezeichnet. Sie beinhaltet ausschließlich die fünf Bücher Mose und ist der zentrale Kultgegenstand im synagogalen Gottesdienst. Das Sefer Tora besteht aus etwa 40 zusammengenähten Pergamentbögen, die beidseitig auf mit Griffen und Holzscheiben versehenen Holzstangen aufgerollt sind. Jede Woche am Schabbat, aber auch an den anderen Festtagen wird sie in einem feierlichen Ritual aus dem Toraschrein – einem Schrank an der Ostwand der Synagoge – herausgenommen und zur Bima – dem Lesepult – in der Mitte des Hauses getragen. Dort empfangen sie der Kore – das ist der Vorleser –, der Chazan – der Vorsänger – und der Rabbiner, um den entsprechenden Wochenabschnitt aufzurollen und der Gemeinde in einer Art Sprechgesang vorzutragen.

Tefillin

Hinter dem zweiten Buchstaben des Akronyms „STaM“ verbirgt sich das Wort „Tefillin“. Das bezeichnet die Gebetsriemen, auch „Phylakterien“ genannt. Die Tefillin bestehen aus zwei Ledergehäusen und langen Lederriemen mittels derer sie von jüdischen Männern – im Reformjudentum auch von Frauen – an Werktagen während des Morgen- und Mittaggebets aber auch beim Studium heiliger Schriften an Kopf und Arm befestigt werden. In den Gehäusen befinden sich kleine Räume für vier zusammengerollte Pergamentstreifen in der Kopfkapsel bzw. einen in der Armkapsel, die mit ganz bestimmten kurzen Bibelabschnitten beschrieben sind. Es handelt sich dabei um die Toraabschnitte Exodus 13:1-10, Exodus 13:11-16, Deuteronomium 6:4-9 und Deuteronomium 11:13-21. Diese Bibelpassagen sind für das jüdische Selbstverständnis von großer Bedeutung und sollen auf diese Weise regelmäßig erinnert werden. Ein zentraler Text ist sicherlich das berühmte „Schma Jisrael“, übersetzt: „Höre Israel“ aus dem fünften Buch Mose (Deuteronomium), das zum Herzstück der jüdischen Gebetsordnung geworden ist. Es heißt dort:

Höre Jisrael, der Ewige unser Gott ist ein einiges ewiges Wesen. Und du sollst lieben den ewigen deinen Gott mit deinem ganzen Herzen, und mit deiner ganzen Seele, und mit deinem ganzen Vermögen. Und es sollen diese Worte, die ich dir heute gebiete, in deinem Herzen sein. Und du sollst sie einschärfen deinen Kindern und davon reden, wenn du sitzest in deinem Hause und wenn du gehest auf dem Wege, und wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie binden zum Wahrzeichen an deine Hand, und sie sollen sein zum Denkbande zwischen deinen Augen [nämlich als Tefillin]. Und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses, und an deine Tore.

(Deuteronomium 6:4-9)

Mezuzah

Damit ist das Stichwort für den dritten Buchstaben des Akronyms „STaM“ gegeben. Das „Mem“ steht für „Mezuzah“. Es handelt sich dabei um ein kunstvoll hergestelltes Gehäuse, das gläubige Juden an die Türpfosten ihrer Häuser anzubringen verpflichtet sind. Nicht so leicht zu erkennen ist der kleine Pergamentstreifen, den die Mezuzah in ihrem Inneren verbirgt. Er enthält zwei handgeschriebene kurze Passagen aus dem fünften Buch Mose, nämlich die beiden bereits in die Tefillin aufgenommenen Verse Deuteronomium 6:4-9 und Deuteronomium 11:13-21. Das Pergamentstück wird von links nach rechts, d.h. entgegen der hebräischen Schreibweise, aufgerollt und in die Kapsel gelegt. In manchen dieser Mezuzot scheint durch eine kleine Öffnung in der Kapsel die Rückseite des Pergaments durch. An dieser Stelle steht das Wort „Schaddaj“, „Allmächtiger“, geschrieben.

Der Sofer ist also in erster Linie mit dem Schreiben von Torarollen, Tefillin und Mezuzot betraut, wobei diese Reihenfolge durchaus auch den Heiligkeitsgrad der Schriftstücke wiedergibt.

Ursprung des Schreiberhandwerks

Vieles deutet darauf hin, dass die ersten professionellen Schreiber hochgebildete Schriftgelehrte waren, die im Dienste des Jerusalemer Tempels standen. Als Vorbild und Begründer dieser Berufsgruppe gilt nach der jüdischen Tradition aber auch Historikern der Priester Esra, der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts mit politischer Macht und Geld ausgestattet aus dem Babylonischen Exil nach Jerusalem kam. Esra hatte es sich zur Aufgabe gemacht, der geschwächten Kultusgemeinde in Jerusalem eine neue Ordnung zu geben. Dazu gehörte die Einführung der Tora als festgeschriebene Rechtsordnung und die öffentliche Lesung dieses Textes im Tempel und in den Versammlungsräumen der jüdischen Bevölkerung. Esras herausragende historische Leistung war es also, ein für alle Juden geltendes Gesetz zu etablieren und „dabei  eine Vorstufe der Tora in bisher nicht gekannter Weise in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu tragen und im Bewusstsein der jüdischen Gemeinde zu verankern. Dies war ein grundlegender Beitrag zur Neuformulierung ihres Selbstverständnisses“ (vgl. WiBiLex) und der Grund, weshalb Esra der Schreiber in der jüdischen Tradition immer wieder mit Moses verglichen wird.

Der Tempelschreiber

Aufgabe der Tempelschreiber war es, die Gesetzesrolle mit den fünf Büchern Mose zu bewahren und fehlerfrei weiterzugeben. Dahinter stand die Intention der Priesterkaste und auch des pharisäischen Judentums, eine einheitliche Textfassung dieser Bücher sicherzustellen und mit ihrer Autorität unterschiedlichen Varianten, die bereits im Umlauf waren, entgegenzuwirken. Man bedenke, wie schnell sich ein doch recht umfangreicher Text durch unterschiedliche Schreiberhände verwandeln kann. Der Beruf des Toraschreibers entsprang im Grunde dem starken Bedürfnis des antiken Judentums nach einer autoritativen Textgestalt. Das betraf zunächst den Pentateuch – das sind die fünf Bücher Mose –, der die erste Schriftensammlung der Hebräischen Bibel mit einer festgelegten textlichen Form darstellt und bereits im Zuge des Tempelkults von den Hohepriestern als absolut heilig behandelt wurde. Alle anderen Schriften der Bibel, seien es die Propheten, die Psalmen oder die Weisheitsbücher sind erst nach und nach in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten in den biblischen Kanon aufgenommen und genau wie der Pentateuch zunächst in Schriftrollenform überliefert worden. Obwohl auch diese Bücher im jüdischen Denken als von Gott geoffenbart gelten, stehen sie in ihrer Bedeutung nicht auf derselben Ebene mit den Mosesbüchern.

Die Schreibertradition nach der Tempelzerstörung

Aus historischen Quellen kann abgelesen werden, dass die Tempelrollenexemplare als die zuverlässigsten Textzeugen der fünf Bücher Mose galten. Es war bekannt, dass Korrektoren die Arbeit der Schreiber überwachten und wo nötig ausbesserten. Auch sie wurden aus dem Tempelschatz bezahlt. Ein Sefer Tora aus dem Umkreis des Tempels war also die ideale Vorlage für alle weiteren Torarollen. Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, dem geistigen Zentrum des antiken Judentums, durch die Römer im Jahre 70 n. chr. Z. und der damit fortschreitenden Zerstreuung der Juden in die unterschiedlichen Gebiete der Welt, wuchs mehr und mehr das Bedürfnis nach einer Konservierung des Schreiberwissens. Als erste systematische Zusammenfassungen dieses bislang in erster Linie mündlich weitergegebenen Wissens sind die halachischen Schriften "Sefer Tora", das Teil der sogenannten „kleinen Talmudtraktate“ ist, und das „Masekhet Soferim“, d.h. übersetzt: „Der Traktat der Schreiber“, zu nennen. Diese recht umfangreichen Abhandlungen enthalten Vorschriften, die das Schreiben einer Torarolle, die Herstellung der kleinen Schriftrollen in den Tefillin und Mezuzot und das Kopieren der Hebräischen Bibel als eine besondere, heilige Handlung regeln. Diese Regeln sind im Laufe der Zeit zwar immer wieder kommentiert, modifiziert und dem historischen, sozialen und kulturellen Kontext der Zeit angepasst worden. Dennoch kann in der reichen Kommentarliteratur ein wesenhafter Kern von Vorstellungen zum Schreiben dieser heiligen Texte ausgemacht werden, der von historischen oder kulturellen Entwicklungen beinahe gänzlich unberührt blieb. Eine Torarolle – und das soll im Folgenden durch einige Beispiele gezeigt werden – versucht bis zum heutigen Tag immer eine möglichst identische Kopie des Tempelrollenexemplars zu sein. Die teilweise archaisch anmutenden Schreibregeln sind dergestalt auch als eine Reminiszenz an die glückliche Zeit, da das Heiligtum noch stand und das jüdische Volk ein kulturelles Zentrum hatte, zu verstehen.

Die Reinheit des Materials

Die wohl sinnfälligste Parallele zwischen moderner und antiker Schreibkunst sind die strengen Reinheitsvorschriften, die das Schreibmaterial, das Schreiben selbst und letztlich auch die Handhabung der Torarolle in der Synagoge betreffen. Aus diesem Grund war und ist die Reinheit des Materials, aus dem die heiligen Rollen gefertigt sind, von außerordentlicher Bedeutung. So muss das Pergament, auf dem die STaM geschrieben werden, von den Häuten rituell reiner Tiere stammen. Damit sind Tiere gemeint, die nach jüdischen Speisevorschriften zum Verzehr geeignet sind, wie z.B. Rind, Wild oder Schafe, aber im Unterschied zu diesen nicht rituell geschlachtet sein müssen.
Erst wenn der Schreiber sichergestellt hat, dass alle diese Materialien den strengen Reinheitsvorschriften der Rabbiner entsprechen, kann mit dem eigentlichen Schreiben begonnen werden.

Die Textgenauigkeit und das Schriftbild

Auch für den modernen Sofer im heutigen Jerusalem oder New York hat die fehlerfreie Weitergabe der Tora an die nächste Generation oberste Priorität. Er ist deshalb verpflichtet, eine zuverlässige, mehrfach geprüfte Vorlage zu benutzen. Damit sich beim Abschreiben kein Fehler einschleicht, muss jedes Wort von ihm laut gelesen werden, bevor er es endgültig zu Pergament bringt. Damit soll zum einen die Heiligkeit des Textes auf die Schriftrolle übergehen, zum anderen aber auch vermieden werden, dass der Schreiber ganze Passagen aus dem Kopf schreibt – auch wenn das für ihn sicherlich kein Problem darstellt. Es ist wichtig, dass jeder einzelne Buchstabe gut lesbar und über jeden Zweifel erhaben ist.

Eine Besonderheit beim Schreiben der Torarollen, Tefillin und Mezuzot sind die sogenannten „Taggin“ oder „Krönchen“, die der Sofer an den richtigen Stellen hinzuzufügen hat. Die Krönung betrifft rätselhafterweise nur die sieben Buchstaben Ain, Thet, Nun, Zain, Gimmel, Zadeck und das Schin. Leider wissen wir nicht, weshalb ausgerechnet diese Buchstaben mit Krönchen geschmückt werden. Vielleicht war ihr ursprünglicher Zweck rein dekorativer Natur.

Der Name Gottes

Ganz besondere Sorgfalt ist beim Schreiben des Gottesnamens JHWH geboten, der nach jüdischem Verständnis die Essenz der göttlichen Wirkmacht ist und dementsprechend hochheiligen Charakter besitzt. Die Scheu und Ehrfurcht vor diesem Namen ist geblieben und ein heikles Thema in der Schreiberliteratur. Es gibt Diskussionen darüber, was zu tun ist, wenn beispielsweise der Name Gottes vergessen wurde. Was passiert, wenn er aus Versehen doppelt geschrieben war? Wie hat der Schreiber in diesem Falle bei der Korrektur zu verfahren? Ein falsch geschriebener Gottesname darf nicht einfach ausradiert werden; er muss mit dem gesamten Satz herausgeschnitten und auf einem neuen Pergamentstreifen ersetzt werden. Das sicherste ist, die ganze Seite neu zu schreiben.

Es ist ein interessantes und einmaliges Phänomen der Religionsgeschichte, dass die Torarollen und kleinen Schriftstücke in den Tefillin und Mezuzot durch den revolutionären Buchdruck völlig unberührt geblieben sind. Während die Bibel sehr schnell in den Druck fand, taugen die sogenannten STaM nur als handschriftliche Dokumente für die rituelle Verwendung – und das obwohl durch den Druck die Bewahrung einer einheitlichen Textgestalt eher zu garantieren wäre. Es muss also noch eine weitere Bewandtnis mit dem Schreiben haben, die über das Augenscheinliche hinausgeht. Es muss am Schreiber selbst liegen, der hohe charakterliche Erwartungen erfüllen muss.