Masora
Den Bibeltext, so wie er uns heute in Handschriften oder in gedruckter Form entgegentritt, nennt man „Masoretischer Text“. Er heißt so, weil er den kritischen Kommentar der Masora enthält, was wörtlich übersetzt „Überlieferung“ bedeutet. Die Masoreten waren jüdische Schriftgelehrte, die sich vom 7. bis ins 11. Jahrhundert hinein um die korrekte Schreib- und Leseweise der Hebräischen Bibel bemüht haben. Ziel der Schriftgelehrten war es, den Text der Bibel vor Änderungen, die durch die handschriftliche Tradierung vorprogrammiert waren, zu bewahren und – was noch wichtiger war – durch die Hinzufügung von Vokalen und Akzenten, die tatsächlich erst im 8. Jahrhundert ihre endgültige Gestalt bekamen, die richtige Lesung sicher zu stellen. Diese Aufgabe war umso dringlicher geworden, da nur noch wenige Spezialisten die richtige Aussprache des ohne Vokale notierten Hebräischen beherrschten. Die hochgebildeten Schriftgelehrten nahmen mit Sorge die mangelnden Sprachkompetenzen der jüdischen Bevölkerung wahr und sorgten durch eine festgelegte Vokalisierung der Heiligen Schriften für mehr Klarheit bei deren Lesung.
Zur masoretischen Überlieferung gehört auch die Einteilung des Bibeltextes in größere und kleinere Abschnitte, wobei die Unterteilung der Einheiten für den synagogalen Lesezyklus bereits in Talmudischer Zeit, also einige hundert Jahre früher bekannt war. Die endgültige und heute gebräuchliche Kapiteleinteilung geht auf den Erzbischof von Canterbury Stephan Langton (ca. 1155-1228) zurück. Die Verseinteilung wurde von dem Drucker Robert Estienne Mitte des 16. Jahrhunderts vorgenommen. Langtons Kapitel- und Estiennes Verseinteilung wurden seit dem Buchdruck im 16. Jahrhundert auch in den hebräisch gedruckten Bibelausgaben üblich.
Vielleicht lag es an den doch recht trockenen und anspruchsvollen Kommentaren der Masoreten, dass die Masora gerne zu dekorativen Zwecken umgestaltet und in eine Welt voller Fabelwesen und Phantasiegestalten verwandelt wurde.