Jüdische Unternehmen
Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Erfurt war gering und lag unter einem Prozent – 1932 hatte die jüdische Gemeinde 1.290 Mitglieder. Juden waren ein selbstverständlicher Teil des Erfurter Wirtschaftslebens. Folgen wir Heinrich Silbergleit, dessen statistische Arbeit das Wochenblatt für den Synagogenbezirk Erfurt im Juli 1927 würdigte, zeichneten sich Juden in Deutschland mangels Alternativen durch einen besonders starken Drang zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit aus und waren demzufolge wesentlich häufiger als Nichtjuden Inhaber, Gesellschafter oder Geschäftsführer von Gewerbebetrieben.
Besonders ausgeprägt war die Bedeutung von Juden im gesamten Textilgewerbe, im Leder- und Pelzgewerbe, im Bankwesen sowie im Getreide-, Samen- und Viehhandel. Auch wenn belastbare Zahlen fehlen, deuten die wenigen überlieferten Hinweise darauf hin, dass sich die Struktur des Gewerbetreibens von Juden in Erfurt um 1933 wenig von den anderen Regionen Deutschlands unterschied. Auch in Erfurt engagierten sich Juden besonders erfolgreich im Handel und in der Herstellung von Textil-, Leder- und Schuhwaren. Daneben waren aber auch Warenhäuser, Papier-, Fahrrad-, Farben- und Samenhandlungen – kurzum eine breite Palette des Unternehmertums – in der Stadt präsent.
Neben der Vielzahl von kleinen oder mittleren jüdischen Gewerbebetrieben, gab es auch einige große und bekannte Unternehmen von Juden. Ein prominentes Beispiel war das Kaufhaus Römischer Kaiser am Anger. Der Kaufmann Siegfried Pinthus, der zunächst einen kleinen Kaufladen am Domplatz nahe der Kettenstraße besaß, hatte das großzügige Warenhaus 1908 zusammen mit seinem Schwager Artur Arndtheim aufgebaut. Der Römische Kaiser war das einzige große Warenhaus am Platz. Die beiden Gesellschafter gehörten zu den angesehenen Bürgern der Stadt und engagierten sich auf vielfältige Weise auch in der jüdischen Gemeinde und darüber hinaus.
In der Schuhindustrie hatte sich M. & L. Hess einen Namen gemacht. Nach 1870 wuchs Erfurt zu einem der größten Schuhfabrikationszentren heran, die Firma M. &. L. Hess war einer der fünf führenden Betriebe. Die Brüder Louis und Maier Hess gründeten 1878 ihr Unternehmen. Am Anfang arbeiteten nur 25 Arbeiter in einem kleinen Betrieb in Erfurt an der Löbergera, aber die Firma expandierte sehr schnell: Ab 1896 gab es zwei bedeutende Fabriken in der Moltkestraße und in der Leipziger Straße. 1922 beschäftigte die Schuhfabrik M. &. L. Hess 1800 Arbeiter und 125 Angestellte und war damit das zweitgrößte Unternehmen der Branche in der Stadt.
Bereits im Dezember 1931 starb der 56-jährig Inhaber Alfred Hess an den Folgen einer Operation. Den wichtigsten Mäzen moderner Kunst in Erfurt würdigte das Wochenblatt als "edle und wahrhaft gütige Persönlichkeit". In der Thüringer Allgemeinen Zeitung schrieb Museumsdirektor Herbert Kunze: "Der Aufstieg des Erfurter Museums und der ehrenvolle Ruf, den es in der deutschen Kulturwelt genießt, ist nicht zuletzt seiner steten und selbstlosen Hilfsbereitschaft zu danken. Alfred Hess war einer der besten Freunde des Museums. Er war der letzte große Sammler in der Stadt."
Ein über die Stadtgrenzen bedeutsamer Maschinenbauer war die Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. AG, die Stanzen, Pressen und Scheren herstellte. Ihr Vorstand war der 1865 in Hamburg geborene Sohn eines Kaufmanns, Henry Pels, der seine Maschinenfabrik Henry Pels & Co. AG. 1897 nach Erfurt verlegt hatte, wo er Kontakte zur Firma J. A. John knüpfte. Die Teilung des Betriebs legte 1902 den Grundstock der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. AG. 1931 verstarb auch Pels. Hier zeigte sich, dass die Generation der Gründer, die ihre Unternehmen um die Jahrhundertwende aufgebaut hatten, in die Jahre gekommen war. Der anstehende Generationswechsel musste nun auch in Erfurt mitten in der Weltwirtschaftskrise in einem immer feindlicher werdenden Umfeld angegangen werden.
Ein Bankhaus befand sich allerdings nicht mehr unter den nachgewiesenen jüdischen Unternehmen. Die 1875 von dem späteren Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Heinrich Ullmann, gegründete Privatbank H. Ullmann war Ende der 1920er Jahre Konkurs gegangen und in Liquidation getreten. Auch wenn es in der Region bis 1938 mit D. Meyer’s Söhne in Suhl, Wachen & Gumprich in Schmalkalden oder Siegfried Weinberg in Leipzig durchaus jüdische Bankhäuser gab, zeigt sich, dass die von den Antisemiten immer wieder beschworene Bedeutung der Juden für das Bankgewerbe mit dem Aufstieg der Universalgroßbanken in den 1920er Jahren ein Ende gefunden hatte.
Quelle: Kreutzmüller/Schörle "Stadtluft macht frei?"
Jüdische Gewerbebetriebe in Erfurt 1919 bis 1939, Erfurt 2013