Hoffnung auf die Unesco-Welterbeliste
Die Entscheidung, ob Erfurt wirklich auf die Welterbeliste kommt, fällt im kommenden Monat in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. „Bei einer positiven Entscheidung der Unesco würde unsere Landeshauptstadt offiziell zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören und damit in einer Reihe mit Orten wie dem Schloss in Versailles, dem historischen Zentrum Roms oder den Pyramiden von Gizeh stehen“, erhofft sich auch Thüringens Kultur-Staatssekretärin Tina Beer ein Ja des Welterbekomitees.
Die Chancen für das Ja stehen zumindest nicht schlecht. Denn Icomos, der internationale Rat für Denkmalpflege, hat für das jüdisch-mittelalterliche in Erfurt seine Empfehlung ausgesprochen. Ob die 21 Mitglieder des Welterbekomitees dieser Empfehlung folgen, lässt sich aber nicht sagen.
Während der Entscheidung in Riad dabei sein werden die Unesco-Beauftragten der Stadt, Dr. Maria Stürzebecher und Dr. Karin Sczech, sowie der Kulturbeigeordnete Dr. Tobias Knoblich und der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Prof. Reinhard Schramm. „Ich weiß um die harte Arbeit aller Beteiligten. Jüdisches Erbe und jüdisches Leben erfahren eine große Öffentlichkeit“, so Schramm.
„Der Titel würde bestätigen, wovon ich ohnehin überzeugt bin: dass das jüdisch-mittelalterliche Erbe unserer Stadt etwas ganz Besonderes und weltweit einmalig ist“, ergänzt Dr. Maria Stürzebecher, die von Beginn an den langen Weg des Welterbeantrags gegangen und Erfurts erste Unesco-Beauftragte ist. Auch Dr. Karin Sczech, die Entdeckerin der Mikwe und seit drei Jahren ebenfalls Unesco-Beauftragte in Erfurt, hofft sehr auf den Titel: „Wenn es klappt, ist alles ein bisschen anders“, erklärt sie. „Dann gibt es auch unter den Wissenschaftlern eine größere Resonanz, Erfurt rückt stärker in den Fokus“, sagt sie.
Übrigens kann auch die Öffentlichkeit in Thüringen live dabei sein: Es gibt im Erfurter Rathaus eine Direktschaltung nach Riad in den Tagungssaal der Unesco. Wann dort die Entscheidung fällt, wird erst noch von der Unesco bekannt gegeben.
Der Antrag auf die Welterbe-Liste der Unesco wurde für die Alte Synagoge, die Mikwe und das Steinerne Haus 2021 eingereicht. Die bislang entdeckten Sachzeugen wie der Erfurter Schatz, die hebräischen Handschriften und die Grabsteine gehören zwar nicht mit auf die Liste, sind jedoch ebenfalls ein Beleg für das Miteinander von Christen und Juden während des Mittelalters und zeigen Aufstieg, Blüte und Auslöschung der beiden jüdischen Gemeinden mit dem Pogrom 1349 und gut einhundert Jahre später mit der Ausweisung der jüdischen Bevölkerung durch den Stadtrat.
Deutschland hat bislang 51 Welterbestätten, weltweit sind es aktuell 1.157 Kultur- und Naturstätten. In Thüringen haben diese Auszeichnung bislang Weimar und Eisenach erhalten. Der Hainich wurde Weltnaturerbe.
Tatsächlich wurde bereits 1094 mit dem Bau dieser Synagoge begonnen. Sie ist damit eine der ältesten, größten und auch noch am besten erhaltenen Synagogen Europas. Anhand des originalen Bestandes lassen sich die verschiedenen Bauphasen bis heute nachvollziehen. Die Synagoge spiegelt Aufstieg und Blüte der jüdischen Gemeinde und auch Ausschreitungen, Verfolgung und Auslöschung der Gemeinde wider.
Nach dem Pogrom wurde das jüdische Gotteshaus in ein Lagerhaus umgewandelt. Die Nutzung des Gebäudes als Speicher sollte die folgenden 500 Jahre in kaum veränderter Form bestehen – das ist aus heutiger Sicht ein Glücksfall. Ab dem späten 19. Jahrhundert bis 1990 war die Synagoge ein gastronomischer Ort. Ihr ursprüngliches Aussehen war kaum mehr erkennbar. Und das war wohl ihre Rettung. Das Gebäude war kaum jemandem in seinem Ursprung bekannt – zum Glück auch nicht während der Zeit des Nationalsozialismus.
Erst seit den späten 1980er Jahren interessierte man sich wieder für die Synagoge und stellte fest, dass die Substanz des Gebäudes weitestgehend erhalten und von besonderer baulicher Qualität ist. 1998 kaufte die Stadt das Haus, es folgte eine sensible Sanierung und Erforschung.
Seit 2009 ist die Alte Synagoge ein außergewöhnliches Museum und der Ort, an dem unter anderem der Erfurter Schatz mit dem Hochzeitsring ausgestellt wird. Die Synagoge, wie sie heute wieder erkennbar ist, ist ganz sicher das wichtigste Exponat zur Geschichte der jüdischen Gemeinde im Mittelalter.
Die Erfurter Mikwe gehört zu den wenigen erhaltenen Beispielen mittelalterlicher monumentaler Gemeinde-Mikwen. Außergewöhnlich ist die Form des Baus, denn sie unterscheidet sich von den sonst erhaltenen Schacht- oder Kellermikwen.
Direkt am Ufer der Gera, dem Erfurter Fluss, besaß die jüdische Gemeinde wohl schon im 12. Jahrhundert eine Mikwe. Sie diente zur kultischen Reinigung beispielsweise nach der Berührung mit Toten, mit Blut oder anderem Unreinen im religiösen Sinne. Vor allem Frauen nutzten die Mikwe, weshalb sie häufig auch als Frauenbad bezeichnet wird.
Die Erfurter Mikwe zeigt einen gänzlich anderen Typus des Baus – im Gegensatz zu den sogenannten Schachtmikwen in Köln, Speyer, Worms oder Friedberg.
Der Pogrom von 1349 hinterließ deutliche Spuren am Gebäude hinter der Krämerbrücke. Dennoch wird einige Jahre später die Mikwe weiterhin vor allem von Jüdinnen genutzt, die sich ab 1354 in Erfurt ansiedelten. Zu dieser Zeit gilt die Alte Synagoge bereits als Speicher. Die Nutzung der Mikwe endete spätestens 1453/1454, als der Stadtrat die Abwanderung der Juden erzwang.
2007 wurde die Mikwe dank eines Zufalls von der Archäologin Dr. Karin Sczech entdeckt. Seit September 2011 ist die Mikwe für Gäste geöffnet, im Rahmen von Führungen kann sie betreten werden.
In einem mehrteiligen Gebäudekomplex am Benediktsplatz 1 in der Erfurter Altstadt befindet sich ein mittelalterlicher Steinbau, das „Steinerne Haus“. Es ist ein sogenannter Profanbau, ein nicht rituelles oder religiöses Gebäude also. Gebaut wurde es um 1250 und zeigt das jüdische Leben im Hochmittelalter.
Es gibt außergewöhnlich viele Strukturen in dem Gebäude, die bis heute erhalten sind. Dazu zählen unter anderem die Portale zu den beiden Hauptgeschossen, die Decke in der ersten Etage, die Westfassade und der komplette Ostgiebel. Europaweit einzigartig ist aber vor allem die erhaltene Ausstattung des Obergeschossraumes mit der Lichtnische, kaum veränderten Außenwänden sowie einer farbig gefassten Holzbalkendecke, deren Balken aus dem Jahr 1247 stammen. Seit dem 15. Jahrhundert wurde das Haus als Lagerhaus genutzt, so blieb seine mittelalterliche Bausubstanz erhalten.
Das Steinerne Haus ist noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, da es noch erforscht und auf besondere Weise restauriert werden muss. Konserviert ist es inzwischen und kann so als Zeugnis jüdischen Lebens im Mittelalter bewahrt werden. Im Keller gibt es derzeit bereits ein Schaudepot mittelalterlicher jüdischer Grabsteine, die im Rahmen einer Führung besichtigt werden können.
2008 entschied der Erfurter Stadtrat, die Stadt werde sich für ihr jüdisch-mittelalterliches Erbe um den Titel „Unesco-Welterbe“ bewerben.
Erster notwendiger Schritt dafür: Aufnahme Erfurts auf die deutsche Tentativliste (Vorschlagsliste).2012 wurde deshalb von den Unesco-Beauftragten die Bewerbung an das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur übergeben. Von hier wurde der Antrag in die Beratung der KMK (Kultusministerkonferenz) eingebracht.
2013 und 2014 wurden die Vorschläge von allen Bundesländern bewertet, jedes Bundesland durfte maximal zwei neue Welterbestätten vorschlagen. Ein Fachbeirat entschied, welche Anträge bei der Unesco eingereicht werden können.
Im Juni 2014 wurde Erfurt auf die neue Tentativliste aufgenommen, die ab 2017 fortgeschrieben wurde. Da die Reihenfolge den Bewerbungszeitpunkt bestimmt, war klar, dass die Einreichung des Antrags bei der Unesco in Paris für 2021 zu planen ist.
Anfang 2021 wurde der Welterbe-Antrag inklusive Managementplan mit dem Titel „Jüdisch-mittelalterliches Erbe in Erfurt“ über die Thüringer Staatskanzlei, die Kultusministerkonferenz und das Auswärtige Amt bei der Unesco in Paris eingereicht.
Ab September 2021 prüfte Icomos, der Internationale Rat für Denkmalpflege, diesen Hunderte Seiten umfassenden Antrag. Zur Prüfung gehörten der Besuch in Erfurt, ein Gutachten zu den eingereichten Unterlagen und verschiedene Fragerunden seitens der Fachleute aus aller Welt.
Im Vorfeld der Welterbekomitee-Sitzung gab dieser Rat für Denkmalpflege sein fachliches Votum für den Erfurter Antrag ab. Dieses Votum ist generell die Grundlage für die Entscheidung des Welterbe-Komitees mit seinen 21 Mitgliedern aus allen Kontinenten. Icomos empfahl dem Welterbekomitee die Aufnahme Erfurts auf die begehrte Liste.
Ursprünglich war die Sitzung des Welterbekomitees für Juni vergangenen unter dem Vorsitz Russlands im russischen Kasan geplant. Wegen des Überfalls Russlands auf die Ukraine wurde diese Sitzung seitens der Unesco verschoben.
Im Januar 2023 gab es eine außerordentliche Sitzung des Komitees, darin wurde die 45. Sitzung der Unesco für den 10. bis 25. September dieses Jahres festgelegt. Die Sitzung findet nun unter dem Vorsitz Saudi-Arabiens in Riad statt. Der genaue Termin für die Entscheidung für Erfurt wird erst kurzfristig bekannt gegeben.
„Nach 14 Jahren intensiver Arbeit hoffe ich auf eine positive Entscheidung des Unesco-Komitees im September. Der Titel würde bestätigen, wovon ich ohnehin überzeugt bin: dass das jüdisch-mittelalterliche Erbe unserer Stadt etwas ganz Besonderes und weltweit Einmaliges ist“, sagt Dr. Maria Stürzebecher. Sie ist die erste Unesco-Beauftragte Erfurts und fiebert dem September entgegen. Sie glaubt fest an den Titel, auch wenn da die Hoffnung ungleich größer ist als das Wissen.
Dass Maria Stürzebecher mit dem jüdisch-mittelalterlichen Erbe in Berührung kam, ist zunächst reiner Zufall. Als Volontärin geht sie unmittelbar nach dem Studium im Jahr 2000 nach Weimar zu den Archäologen. Sie bekommt eine Kiste auf den Tisch gestellt, auf die sie bis zu einer Besprechung kurz aufpassen soll. Darin sind silberne Gefäße und Gürtelteile, gefunden in Erfurt. Sie sehen unansehnlich aus und sind doch eine Sensation: Hervor kommt der Erfurter Schatz. Noch nicht glänzend, denn er ist nicht restauriert. Die Neugier der Kunsthistorikerin ist geweckt und sie beginnt mit der Recherche. Daraus entsteht ihre Doktorarbeit, die sie über die mittelalterlichen Gürtel, Münzen, Becher und vor allem über den Hochzeitsring aus jüdischem Besitz schreiben wird. Gemeinsam mit der Archäologin Dr. Karin Sczech organisiert sie Ausstellungen mit diesem wertvollen Schatz unter anderem in Speyer und Berlin, Paris, New York und London. Erfurt wird plötzlich in der Welt gefeiert.
Natürlich taugt der Schatz nicht für die Welterbe-Liste. Schmuck gehört dort nicht hin. Aber er zeigt das normale jüdische Leben während des Mittelalters und vor dem Pogrom Mitte des 14. Jahrhunderts. Für das Welterbe jedoch sind steinerne, einmalige Zeugen nötig. Längst wissen Fachleute, dass es solche Zeugen in Erfurt geben könnte. Die Alte Synagoge wird hinter einer Gaststätte im Hinterhof entdeckt. Und als auch noch die längst vermutete Mikwe freigelegt wird, steht fest: Erfurt bewirbt sich für die Unesco-Welterbeliste.
Maria Stürzebecher ist vom ersten Tag an dabei. Schreibt Nächte hindurch Anträge und Bewerbungen in der Stadt und im Land. Mit ihren Ergebnissen wird der Weg frei für die bundesweite Bewerbung.
All das ist jetzt Vergangenheit. Die Historikerin hat viele Pläne, wenn es wirklich mit dem Titel klappen sollte. Doch erst muss der Titel her.
„Wenn man sich über so viele Jahre mit dem jüdischen Erbe in Erfurt wissenschaftlich beschäftigt hat, kann man gar keine Zweifel haben, dass der Titel verdient wäre., Damit bekäme Erfurt auch auf eine größere Bekanntheit und vor allem Wertschätzung“, erklärt Dr. Karin Sczech, seit drei Jahren Unesco-Welterbe-Beauftragte Erfurts.
Doch nicht erst seit dieser Zeit ist die in Weimar lebende Archäologin mittendrin in der Erforschung des jüdisch-mittelalterlichen Erbes der Landeshauptstadt. Dank ihr wurde die Mikwe, das jüdische Ritualbad, sogar erst gefunden. In den 1950er Jahren erscheint zwar ein Buch, in dem von der Mikwe gesprochen wird. Doch genau dort, wo sie sein soll, gibt es nur einen ganz normalen Keller – wie so viele hinter der Krämerbrücke, wo einst Häuser standen und jetzt Rasen wächst.
Wieder einmal hilft der Zufall, etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Eine eingestürzte Mauer an der Gera muss erneuert werden. Karin Sczech schaut als Archäologin in die Ausgrabungen der Bauarbeiter. Sie sieht Keller und darunter Flusskies. Nichts deutet auf besonders gebaute Keller hin. Und doch: Als sie mit einer Grippe im Bett liegt, lässt ihr die Baustelle keine Ruhe. Es ist ein Freitag, Montag soll der nächste Bauschritt folgen. Karin Sczech Sie fährt noch einmal auf die Baustelle. Und begreift ihre Unruhe. Dort, wo heute die Mikwe zu bewundern ist, gibt es plötzlich einen freigelegten Keller, der zwei ganz besondere Steine hat. Das ist kein normaler Keller. Buchstäblich in letzter Minute verhängt sie einen Baustopp. Montag wäre die Mikwe verloren gewesen.
Die Mikwe gibt den Anstoß, dass Erfurt sich für den Welterbe-Titel bewerben will. Während der Forschungen kommt zusätzlich auch noch das Steinerne Haus am Benediktsplatz zum Vorschein.
Vor drei Jahren umwirbt die Stadt Erfurt Dr. Karin Sczech, ihre Arbeit als Gebietsreferentin in der Landesarchäologie in Weimar aufzugeben und als zweite Unesco-Beauftragte der Stadt aktiv zu werden.
„Ich will mir ein Nein zu unsere einmaligen jüdisch-mittelalterlichen Erbe auf der Erbeliste nicht vorstellen“, sagt sie. Gemeinsam mit Maria Stürzebecher, dem Kulturbeigeordnetem Dr. Tobias Knoblich und Prof. Reinhard Schramm, dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, wird sie nach Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad reisen und während der Verkündung live dabei sein.