"Zwischen Privatem und Öffentlichem": Die Erfahrungen der Familie Heilbronner in Erfurt 1935 - 1939
"Von 1935 bis 1982 schrieb meine Großmutter Marie Heilbronner ein Tagebuch, in dem sie ihren Alltag detailliert schilderte. In den Notizen eines Tages findet sich der Mangel an Brot und Milch zusammen mit einer Eintragung über den Sieg der israelischen Armee 1967; Bemerkungen über Löcher in den Socken ihres Sohnes Hans stehen neben den furchtbaren Geschichten ihres Ehemannes Joseph aus Buchenwald.
Marie Heilbronner, ihr Ehemann Joseph und ihre zwei Kinder Hans und Eva lebten in Erfurt. Die Eltern kamen 1922 dort hin, die Kinder wurden 1924 und 1930 geboren. In meinem Vortrag möchte ich über die Erfahrungen meiner Familie in der Zeit von 1935 bis Januar 1939 sprechen, als sie nach Palästina flohen. Während ich aus ihrem jüdischen Alltag in Erfurt berichte, möchte ich diese privaten Erfahrungen meiner Familie mit den kulturellen und sozialen Umbrüchen ihrer öffentlichen Erfahrungen als Juden vergleichen. Empfanden sie die sich ändernden Bedingungen in der Schule, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen und in der Nachbarschaft und litten sie darunter? Wenn ja, wie spürten sie dies? Was änderte sich 1938 vor und nach der Kristallnacht und wie spiegelt sich diese Veränderung im Tagebuch wider? Wie erlebte die Familie den Abschied von Erfurt und ihre ersten Tage in Palästina?"
Oded Heilbronner
Die Familie Heilbronner übergab das Tagebuch von Marie Heilbronner dem Stadtarchiv Erfurt.
Dr. Oded Heilbronner lehrt Geschichte und Kulturanthropologie am Shenkar College of Art & Design in Tel Aviv und an der Hebrew University in Jerusalem. Unter anderem veröffentlichte er Schriften zur deutsch-jüdischen Geschichte und zum Nationalsozialismus. Er promovierte über die NSDAP vor 1933 im Schwarzwald.