Erfurt, Regensburg, Trier – Judensiegel im mittelalterlichen Reich
Als im 13. und 14. Jahrhundert das abendländische Siegelwesen allmählich seinen Zenit erreichte, begannen auch Juden eigene Siegel zu führen. Diese Entwicklung ist bemerkenswert, verlangten doch innerjüdische Rechtsgeschäfte nach jüdischem Recht (Halacha) keine Siegel. Solche Geschäfte wurden stets unterschrieben und mit dem Zeugenbeweis beglaubigt. Aus diesem Grunde wohl ist keine einzige hebräische Urkunde aus Aschkenas bekannt, die mit Sicherheit das Siegel einer Jüdin oder eines Juden trug – denn Unterschriften waren die ausschließliche Norm im innerjüdischen Rechtsverkehr.
Nördlich der Alpen aber hatte das christliche Siegelwesen eine so herausragende Bedeutung erreicht, dass Geschäfte zwischen Christen und Juden bei Weitem nicht immer mit der hebräischen Unterschrift abgeschlossen werden konnten. Wo das Notariatswesen in Italien schon weit entwickelt war und Judensiegel keine Rolle spielten, ja Siegel allgemein eine viel geringere Bedeutung hatten, besaßen die Reiche nördlich Alpen ein sich ausdifferenzierendes Siegelwesen, an dem spätestens seit dem 14. Jahrhundert praktisch alle Bevölkerungsschichten teilhaben konnten. Hier hatte das Siegel einen ungleich höheren Stellenwert als die eigenhändige Unterschrift bei der Beglaubigung von Urkunden und Juden sahen sich nicht selten gezwungen, dafür die Siegel Dritter erbitten zu müssen. Solche Siegelbitten waren unter Umständen kostspielig (Siegeltaxen) und nicht angenehm für den Bittsteller; darüber hinaus konnten sie natürlich auch verwehrt werden.
Zwar verlangte das jüdische Recht keine Siegel, es verbot sie aber auch nicht. Und weil ein Siegel stets Ausdruck von Status ist und der Selbstrepräsentation dient, war es konsequent, dass eine signifikante Anzahl von Juden schließlich begann, eigene Siegel führen. So überrascht es nicht, dass alle Judensiegel jüdischen Geschäftsleuten – Frauen wie Männern – gehörten, die schon aus beruflichen Gründen im ständigen Kontakt mit dem christlichen Adel sowie dem städtischen Meliorat standen. Diese jüdischen Siegelführer sind als bedeutende Gemeindefunktionäre ihrer Zeit belegt. Sie besaßen zweifellos ein gesteigertes Repräsentationsbedürfnis, das nicht zuletzt auf ihren innerhalb der jüdischen Gemeinde anerkannten sozialen Status zurückzuführen ist, aber eben auch als Resultat ihrer Geschäftskontakte verstanden werden kann. Der Fokus des Vortrages wird auf den Judensiegeln der drei Städte Erfurt, Regensburg und Trier liegen. Aus diesen Städten ist eine größere Anzahl von Judensiegeln überliefert, die vergleichend besprochen werden sollen.
Zur Person
Nach einem Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Trier, begann Andreas Lehnertz 2014 die Arbeit an seiner Dissertation mit dem Thema „Judensiegel im spätmittelalterlichen Reichsgebiet. Beglaubigungstätigkeit und Selbstrepräsentation (Ende 13. bis Mitte 15. Jahrhundert)“, die von Prof. Alfred Haverkamp und Prof. Lukas Clemens (beide Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Universität Trier) betreut wird. Neben den Judensiegeln liegen weitere Schwerpunkte seiner Forschung auf hebräischen Grabsteinen, der allgemeinen Siegelkunde, hebräischen Rückvermerken und jiddischen Wörtern in Urkunden.