Der mittelalterliche jüdische Friedhof in Erfurt. Eine kleine Grabung mit wegweisenden Ergebnissen.
Zum Vortrag:
Bei einer Baumaßnahme am Erfurter Ackerhof wurden 2013 menschliche Knochen von einem Bagger abgetragen. Nachdem die Bauarbeiten gestoppt wurden, erfolgte eine Rettungsgrabung bei der fast 50 Bestattungen des mittelalterlichen jüdischen Friedhofs dokumentiert wurden. Die anthropologische Untersuchung geschah in enger Absprache mit der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Danach war die Wiederbestattung der Knochen auf dem Gelände geplant. Im jüdischen Glauben spielt die Totenruhe eine überaus wichtige Rolle. Die Beerdigung erfolgt für die Ewigkeit und falls doch beispielsweise durch Baumaßnahmen Knochen geborgen werden, müssen sie umgehend wieder bestattet werden. Eine Anfrage aus Israel zur genetischen Untersuchung beschied die Landesgemeinde daher zunächst abschlägig, nach der Vorlage eines rabbinischen Gutachtens durften Genetiker aus Harvard (USA) und Jerusalem Zähne beproben. Da nicht bei allen Bestattungen Zähne vorhanden waren, gab es am Ende 33 Proben, die Ergebnisse erbrachten. Nach den immensen Fortschritten der Genetik in den letzten Jahren konnte man auf erste Ergebnisse überhaupt zu mittelalterlichen jüdischen Bestattungen gespannt sein.
Im Vortrag werden nicht nur die Einzelergebnisse der verschiedenen Disziplinen (Archäologie, Anthropologie, Geschichte, verschiedene Naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden) vorgestellt: Erst durch die Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern war es möglich zu Erkenntnissen zu gelangen, die weit über Erfurt hinaus bedeutsam sind. Die erste Veröffentlichung zu den genetischen Untersuchungen hat ein weltweites Echo ausgelöst und dient nun als Blaupause für weitere wissenschaftliche Projekte.
Moderation: Christian Tannhäuser, Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
Zur Person:
Karin Sczech studierte in Freiburg i. Br. und Hamburg Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Provinzialrömische Archäologie und Alte Geschichte. Ihr Promotionsthema befasste sich 1993 mit "Entsorgung in der mittelalterlichen Stadt am Beispiel von Konstanz und Freiburg i. Br." Bereits während des Studiums spezialisierte sie sich auf Mittelalterarchäologie und war nach der Promotion in der Stadtarchäologie in Leipzig und Bautzen tätig. Ab 1999 war sie als Gebietsreferentin beim Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie angestellt und zuletzt für die Stadtarchäologie zuständig und damit auch für die Grabungen in Erfurt u. a. mit jüdischem Friedhof und Mikwe verantwortlich. Seit 2020 arbeitet sie bei der Stadt Erfurt als Beauftragte für das Unesco-Welterbe.