Was macht die Welterbe-Bewerbung, Frau Dr. Stürzebecher?
Daniel Baumbach, Pressesprecher der Stadt Erfurt:
Heute ist der 7. Juni, heute ist Welterbetag, falls Ihnen das noch nichts sagt "Welterbe", ich kann Ihnen das erklären. Das bedeutet: Welterbestätten sind bedeutende Kultur- oder Naturstätten, die so bedeutend sind, dass sie nicht nur für ein Land wichtig sind, sondern für die ganze Welt. Ungefähr eintausend Welterbestätten gibt es weltweit, in Deutschland aktuell 46. Die Stadt Erfurt würde gern dazugehören mit ihrem jüdischen Welterbe. Eine Frau, die seit Jahren darum kämpft, dass wir dazugehören können, ist Dr. Maria Stürzebecher. Frau Stürzebecher, wie sieht es denn aktuell aus mit der Bewerbung?
Dr. Maria Stürzebecher, Unesco-Beauftragte Kulturdirektion Erfurt:
Gut sieht es aus. Wir sind jetzt auf der Zielgeraden, wir sind noch kein Welterbe, wir sind im Wartestand, deswegen werben wir mit dem Slogan "Welterbe werden". Da muss man noch etwas vorsichtig sein, die Unesco sieht es nämlich nicht gerne, wenn man sich mit den Federn schon schmückt, bevor man sie auch hat. Wir sind jetzt wirklich auf der Zielgeraden. Wir arbeiten jetzt seit über zehn Jahren daran und am Anfang war das schon ein sehr langer Zeitraum, man wusste, es dauert, man wusste, es wird stark bürokratisch reglementiert , man kann nicht einfach einreichen, wenn man fertig ist, wenn man denkt, man ist so weit.
Dann haben wir 2014 im Stadtrat den Startplatz 2021 bekommen, das war immer noch weit hinten raus. Und jetzt geht es wirklich zum Ende hin, es wird sehr spannend. Wir sind in der letzten Woche mit dem Welterbeantrag und dem Managementplan im Stadtrat gewesen. Der Stadtrat hat die beiden Texte beschlossen – einstimmig sogar, ganz große Klasse, da war ich ganz begeistert – und jetzt werden die Texte übersetzt, gestaltet und dann nächstes Jahr im Februar bei der Unesco eingereicht.
Daniel Baumbach:
Wie umfangreich ist dieses Antragswerk? Sind es mehrere hundert Seiten, mehrere tausend?
Dr. Maria Stürzebecher:
Der reine Antrag, zusammen mit dem Managementplan, das sind mehrere hundert Seiten, aber mit den dazugehörigen Dokumentationen – wir haben ein Gutachten erstellen lassen für die drei Komponenten, die drei Monumente die Alte Synagoge, die Mikwe und das Steinernes Haus, in dem wir uns hier befinden, - sind es mehrere Tausend. Die geben wir dann aber digital ab, das macht dann keine drei Kisten/Bücher aus. Das, was wir wirklich real abgeben sind der Managementplan und der Welterbeantrag, das sind dann zusammen mehrere hundert Seiten.
Daniel Baumbach:
Geben Sie mal ein Beispiel, was steht denn da drin?
Dr. Maria Stürzebecher:
Im Welterbeantrag wird begründet, warum wir der Meinung sind, dass wir welterbe-würdig sind. Warum das jüdische Erbe in Erfurt so außergewöhnlich ist, dass es zum Welterbe dazugehören soll. Ein ganz wichtiges Argument: dass es kaum jüdische Stätten bislang auf der Welterbe-Liste gibt – und Stätten, die die mittelalterlich-jüdische Kultur repräsentieren, bislang noch gar nicht. Und das, was wir in Erfurt haben, ist so außergewöhnlich gut erhalten, das wir denken genau den Punkt zu treffen.
Der zweite Text, den wir abgeben, ist der sogenannte Managementplan. Das ist im Grunde wie eine Gebrauchsanleitung für das zukünftige Welterbe. In dem erklären wir, in welchen Besitzverhältnissen sich die Objekte befinden – Gott sei Dank im Besitz der Stadt Erfurt , damit wir auch einfach damit umgehen können – wie die Häuser betrieben werden. Die Alte Synagoge ist ein Museum, da kommt das Museumskonzept noch rein. Aber es geht eben bis hin zu möglichen Umweltschäden, die wir absichern müssen, dass da die Sachen nicht in Gefahr kommen; Katastrophenpläne, Besuchermanagement, Parkplätze ... eigentlich alles.
Daniel Baumbach:
Also, ganz, ganz viel. Was auch ganz viel Arbeit gemacht hat. Wie geht es jetzt weiter? Jetzt wird es in Paris abgegeben. Gibt es eine Kommission, die nächstes Jahr tagt oder darüber entscheidet? Wie sind da die Chancen?
Dr. Maria Stürzebecher:
Das ist stark reglementiert. Also muss erst gestaltet werden. Wir geben zwei schöne, gebundene Bücher ab. Die werden an die Unesco geschickt und dann hat die Unesco eineinhalb Jahre Zeit zu evaluieren. Es ist nicht so, dass wir abgeben und innerhalb von drei/vier Wochen Nachricht haben. Es ist so: die Unesco reicht das Antragsdossier weiter an den Internationalen Rat für Denkmalpflege und der evaluiert dann. Der schaut sich den Antrag an, schaut, ob die Argumentation schlüssig ist, ob es auf dem Papier hinhaut und dann wird vor Ort evaluiert. Es kann passieren, dass die Leute sich anmelden "Wir kommen dann, wir wollen folgendes gerne sehen". Es kann aber auch sein, dass sie inkognito kommen, meist passiert beides und beides hintereinander. Dann wird eben geschaut, ob dass, was wir angeben, der Realität entspricht. Sowohl in dem reinen Antragsdossier, wo es um die Monumente selbst geht, also auch im Managementplan, ob die Aufsichtskräfte genauso viele sind, wie im Managementplan steht; ob die Fluchtwege genauso, wie wir es angegeben haben, markiert sind usw.
Daniel Baumbach:
Da kommen dann geheime Prüfer, Tester runter in den Keller?
Dr. Maria Stürzebecher:
Das kann passieren.
Daniel Baumbach:
Hinter uns sehen wir jüdische Grabsteine?
Dr. Maria Stürzebecher:
Wir sehen Grabsteine vom mittelalterlichen jüdischen Friedhof, den wir nicht in unseren Antrag reinnehmen konnten, weil der schon im Mittelalter zerstört worden ist. Aber die Grabsteine sind noch da. Wir haben schon vor einigen Jahren entschieden, diese hier im Keller des dritten Monuments, das wir mit beantragen wollen, im sogenannten Steinernen Haus aufzubewahren und so einer fachlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist kein Museum, es ist aber im Rahmen von Führungen zu besichtigen.
Daniel Baumbach:
Was ist so der Knaller unserer Bewerbung? Ist es der Goldschatz, der Hochzeitsring, die Alte Synagoge?
Dr. Maria Stürzebecher:
Ich würde jetzt nicht einen Knaller hervorheben wollen. Im Grunde ist es das Zusammenspiel aus allem. In Erfurt ist es das Außergewöhnliche, dass sich so viel aus der mittelalterlichen Geschichte erhalten hat. Wir haben andere Orte, da gibt es mal eine Synagoge, dann gibt es solche Schutzfunde so wie unsere. An anderen Orten gibt es EIN solches Objekt. Und in Erfurt ist es die mittelalterliche Synagoge, wir haben auch die Mikwe, wir haben die Grabstelle vom Friedhof – o.k., der Friedhof ist nicht mehr da – aber wir können ihn verorten, wir können ihn genau lokalisieren – wir haben den Schatz, wir haben dieses profane Gebäude, was auch mit in diesem Antrag reinkommt und wir haben zusätzlich zu den realen Objekten eine wirklich reichliche schriftliche Überlieferung dazu, so dass wir die Geschichten dazu erzählen können. Und das macht es so außergewöhnlich.
Daniel Baumbach:
Und wenn es dann hoffentlich diesen Welterbetitel gibt, was bedeutet das dann für die Stadt?
Dr. Maria Stürzebecher:
Dann geht die Arbeit erst richtig los. Das wird dann nämlich mindestens genauso anstrengend wie vorher. Wir müssen dann regelmäßig einmal im Jahr der Unesco berichten und erklären, dass wir alles einhalten, was wir beantragt haben. Wir müssen ein Welterbezentrum einrichten. Darauf freue ich mich am meisten, weil das die Schaffung eines neuen musealen Ortes bedeutet. Und auf der anderen Seiten sind wir dann im Fokus der Weltöffentlichkeit – das ist eigentlich das, was der größte Antrieb dahinter war, dass man es auch politisch so stark wollte, weil man dann sozusagen von der ganzen Welt auch gesehen wird. Es gibt Touristen, die die ganzen Welterbestätten in Europa abreisen und wir sind hoffentlich mit dabei. Ich denke, dieser Fokus der Weltöffentlichkeit zu sein, ist das, was für Erfurt das Außergewöhnlichste sein wird.