Die Baugeschichte der Alten Synagoge

Bauphase 1

Die ältesten Mauerteile der Alten Synagoge stammen aus dem späten 11. Jahrhundert. Hölzer aus dieser Bauphase konnten dendrochronologisch auf das Jahr 1094 datiert werden. Das mit Ritzfugen verzierte Mauerwerk lässt sich im unteren Bereich der Westwand auf etwa acht Meter Breite nachweisen.

Wie im Mittelalter üblich lag der ursprüngliche Fußboden unter dem Straßenniveau. Zum Zeichen der Demut stieg man beim Betreten einige Schritte in das Gotteshauses hinab.

Detail der Westfassade. Grobes Mauerwerk mehrheitlich grob verputzt. Verschiedene Fenster in diversen Formen. Teilweise zugemauert.
Foto: Der nicht verputzte Abschnitt der Westfassade zeigt den Bauabschnitt, der aus dem 12. Jahrhundert erhalten ist. Das Zwillingsfenster kann man unten rechts im Bild erkennen. Foto: © Papenfuss, Atelier für Gestaltung

Bauphase 2

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde die Synagoge umgebaut oder erneuert. Aus dieser Bauphase stammt lediglich ein kurzes Stück Mauer in der Westwand. Das Mauerwerk weist keine Ritzfugen auf. In ihm sitzt als einziger Bauschmuck ein Zwillingsfenster, das Biforium, in dessen Sturz Hölzer aus dem ersten Bau neu eingebaut wurden.

Fassadenausschnitt. Ein großes, rundes Rosettenfenster wird von zwei kleineren Lanzetfenstern flankiert
Foto: Die Westfassade der Alten Synagoge wurde um 1270 mit einer Fensterrosette neu gestaltet. Das Foto zeigt zudem zwei der fünf Lanzettfenster. Foto: © Papenfuss - Atelier für Gestaltung

Bauphase 3

Um 1270 entstand unter Einbeziehung der älteren Gebäudeteile ein repräsentativer Synagogenneubau. Fünf Lanzettfenster und eine große Fensterrosette prägen die westliche Schaufassade. Der hohe Innenraum des Gotteshauses war von einem hölzernen Tonnengewölbe überspannt, dessen originale Putzkante unter dem Dach an der Westwand vorhanden ist.

Einzig erhaltenes Ausstattungsstück des Innenraums ist das Lichtergesims, ein umlaufendes Band, auf dem Öllampen oder Kerzen aufgestellt wurden, um die Synagoge zu beleuchten. Es ist an der Ostseite des Raumes deutlich zu erkennen. Hier befand sich höchstwahrscheinlich auch der Toraschrein. Dieser wurde beim Umbau in ein Lagerhaus zerstört, um eine Tordurchfahrt zu schaffen. Der Standort des Lesepults, der Bima, ist wegen fehlender Spuren im Boden nicht rekonstruierbar. Im Mittelalter stand sie jedoch meist in der Mitte des Raumes. Zwei erhaltene Bogensteine lassen auf eine achteckige Bima schließen.

Blick auf die Nordfassade mit drei erhalten Lanzettfenstern, der zugemauerten alten Eingangstüre und dem Tor rechts daneben, das als Zufahrt zum Lagerhaus geschaffen wurde.
Foto: Blick auf die Nordfassade der Alten Synagoge. Hier erkennt man die drei erhaltenen Lanzettfenster sowie links neben dem heutigen Zugang die zugemauerte Eingangspforte zur Alten Synagoge. Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Bauphase 4

Die Synagoge wurde um 1300 um einige Meter nach Norden erweitert und aufgestockt. Der Anbau beherbergte wahrscheinlich die traditionell vom Gebetsraum der Männer abgetrennte Frauensynagoge oder diente als Schule für den Hebräischunterricht der Knaben. Er wurde durch große, mit Birnstäben profilierte Spitzbögen vom eigentlichen Synagogenraum abgeteilt.

Der Anbau besaß nach Norden eine symmetrisch gegliederte Fassade. In der Mitte der Nordwand war ursprünglich der Zugang zur Synagoge. Über der erhaltenen Pforte befanden sich fünf hohe Lanzettfenster, von denen jedoch nur drei rudimentär vorhanden sind: Bei dem Umbau der Synagoge in ein Lagerhaus nach dem Pogrom von 1349 wurden die Fenster zum Einbau von Speicherböden unter Verwendung der alten Gewände und Bögen verkleinert.

Nutzung als Lagerhaus

In Folge des verheerenden Pogroms von 1349, bei dem die Synagoge schwer beschädigt wurde, brachte die Stadt Erfurt das Gebäude an sich. Sie verkaufte es an den Händler, der bereits Eigentümer der Michaelisstraße 2, dem östlich angrenzenden Grundstück, war. Bei der Profanierung der Synagoge baute dieser das Gotteshaus in ein Lagerhaus um, indem er unter dem Gebäude einen großen Gewölbekeller einzog und einen neuen Dachstuhl errichtete. Zwei massive Holzdecken, deren Balken dendrochronologisch auf das Jahr 1350 datiert werden können, wurden eingezogen. Um mit Fuhrwerken vom Vorderhaus in der Michaelisstraße in den Speicher und weiter in die Waagegasse zu gelangen, wurden in die Ost- und Nordwand zwei große Tordurchfahrten eingebrochen. Die Nutzung des Gebäudes als Speicher bestand in den folgenden 500 Jahren in kaum veränderter Form. Davon künden noch heute Getreidekörner und Spelzen, die hinter den neuen Glasscheiben der Lanzettfenster in der Westfassade zu sehen sind.

Holzskulptur in From einer Frau stützt Wand und Gesims
Foto: Stuckfiguren, Bemalung und umlaufende Empore im 1. Obergeschoss zeugen noch heute von der einstigen Nutzung als Tanzsaal.

Gastronomie

Ab dem späten 19. Jahrhundert wurde die ehemalige Synagoge gastronomisch genutzt: Ein Tanzsaal entstand im Obergeschoss, dessen reiche Ausstattung mit Stuckfiguren und farbiger Bemalung noch weitestgehend erhalten ist. Dafür nahm man die obere Holzdecke des Speichers heraus und ersetzte diese durch eine umlaufende Empore. Im Erdgeschoss befand sich eine Küche und später ein Gastraum. Außerdem gab es zwei Kegelbahnen im Keller und im Erdgeschoss. Das Gebäude wurde bis zum Beginn der Sanierungsarbeiten gastronomisch genutzt.

Nach 1990: Auffindung und Rettung

Durch die zahllosen Um-, An- und Einbauten war die ursprüngliche Gestalt der Synagoge lange Zeit kaum erkennbar. Erst in den späten 1980er Jahren dokumentierte und bewertete das Institut für Denkmalpflege die vorhandene Substanz. Ab 1992 fanden Bauuntersuchungen durch das Freie Institut für Bauforschung und Dokumentation unter der Leitung Elmar Altwassers statt. Es wurde nachgewiesen, dass die Alte Synagoge weitestgehend erhalten und von besonderer baulicher Qualität ist. Durch die Nutzung als Lager und Gaststätte sowie jahrzehntelange Vernachlässigung bestand jedoch akute Einsturzgefahr. Der neue Besitzer, der die Synagoge zusammen mit dem gesamten Gebäudekomplex schon 1990 von der TLG (Treuhand Liegenschaftsgesellschaft) erworben hatte und hier eine Gasthausbrauerei mit Großgastronomie einrichten wollte, unternahm keine Anstrengungen zur Sanierung des Gebäudes. Aufgrund der sich abzeichnenden Einmaligkeit bemühte sich die Stadt Erfurt, die Synagoge zu retten und einer angemessenen Nutzung zuzuführen. Nach schwierigen Verhandlungen konnte sie 1998 von der Stadt gekauft werden.

1999 bis 2009: Sanierung und Konzeption eines Museums

Die besondere Geschichte der Alten Synagoge verlangte nach einer speziellen Sanierung. Man entschloss sich,  die Spuren der verschiedenen Nutzungen, die die Geschichte der jüdischen Gemeinde Erfurt widerspiegeln, zu erhalten. Um die Synagoge von außen sichtbar zu machen, wurden zahlreiche Anbauten entfernt.

Bei der Frage nach der künftigen Nutzung der Alten Synagoge nahm eine bestechende Idee Gestalt an, an der seit 2003 gearbeitet wurde: die Einrichtung eines Museums zur Kultur und Geschichte der jüdischen Gemeinde Erfurts im Mittelalter. Das Museum Alte Synagoge Erfurt wurde am 27. Oktober 2009 eröffnet.